Seit dem Jahr 2020 arbeiten Expert*innen aus verschiedenen Bereichen zusammen an den „Empfehlungen für Deutsche Leichte Sprache“. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat dieses so genannte DIN SPEC Verfahren beim Deutschen Institut für Normung e. V. (DIN) beauftragt und Ende 2023 wird das Dokument voraussichtlich veröffentlicht. Hier lesen Sie einen Überblick und eine erste Einschätzung für unsere Arbeit mit Leichter Sprache.

Sicher kennen Sie die DIN-Norm: Das sind feste Standards, die genau regeln, wie etwas beschaffen sein soll. Es gibt sie für alles Mögliche: Gegenstände, Gebäude, Verfahren. Die bekannteste DIN-Norm sind die Papiergrößen: DIN A4 hat jeder schon gehört. Die DIN SPEC ist so etwas wie die kleine Schwester der DIN-Norm: Auch hier geht es darum, ein vielfältiges Produkt zu vereinheitlichen. Im DIN SPEC-Verfahren geht es allerdings zunächst um die Einigung auf gemeinsame Empfehlungen. Nach einiger Zeit, kann eine DIN SPEC die Grundlage für eine DIN-Norm werden – dann werden die Empfehlungen zu verpflichtenden Standards.

Leichte Sprache ist in den letzten 15 Jahren in Deutschland sehr bekannt geworden und inzwischen ein anerkanntes Hilfsmittel für Menschen mit kognitiven Einschränkungen. Man findet sie überall im Internet und auch in gesetzlichen Vorgaben zur Barrierefreiheit (Behindertengleichstellungsgesetz- BGG, BITV 2.0). Gleichzeitig hat sich die Landschaft der Übersetzungsbüros und Anbieter für Leichte Sprache erweitert und es sind unterschiedliche Stile, Regelwerke und Produktkennzeichen entstanden. Für Auftraggeber*innen wurde es dabei unübersichtlich, denn wer sich nicht regelmäßig mit dem Fachdiskurs befasst, kann die feinen Unterschiede der Übersetzungen nicht überblicken. Besonders Ministerien und Behörden standen bei Ausschreibungen von Aufträgen vor der Herausforderung, das gewünschte Format korrekt einzugrenzen. Aus diesem Grund hat das BMAS ein Verfahren zur DIN SPEC in Auftrag gegeben, so dass am Ende des Prozesses allgemeingültige Empfehlungen zur Verfügung stehen.

An diesem Verfahren sind Expert*innen aus den verschiedensten Bereichen beteiligt – eine davon bin ich selbst. Alle großen Organisationen aus der Leichten Sprache waren vertreten. Hinzu kamen viele autonome Übersetzer*innen. sowie weitere Berufsgruppen: Grafikdesign, Webdesign, Übersetzungswissenschaften, Textspezialist*innen, Forscher*innen aus verschiedenen Fachbereichen.

Besonders an diesem Verfahren: Einige Selbstvertreter*innen haben auch mitgearbeitet, so dass im Laufe des Verfahrens immer mehr Leichte Sprache eingesetzt wurde. Im März 2023 wurde der erste Entwurf der Empfehlungen veröffentlicht und alle Interessierten konnten Ihre Kommentare dazu einschicken. Damit geht das Verfahren nun in die Zielgerade und bis Jahresende haben wir wahrscheinlich eine fertige DIN SPEC für Leichte Sprache.

Ganz sicher wissen wir das erst, wenn es soweit ist. Aber da ich an dem Prozess beteiligt war, wage ich einen Ausblick:

Die DIN SPEC wird sicher ein weiterer wichtiger Schritt in der Entwicklung der Leichten Sprache sein und vor allem die Auftragsvergabe verändern. In Zukunft können sich Ausschreibungstexte oder auch gesetzliche Vorgaben zu Leichter Sprache auf die Empfehlungen beziehen, anstatt einzelne Regelwerke zu benennen. Das ist gut, denn es erleichtert die Auftragsvergabe auf Kundenseite.

Unklar ist noch, wie sich die DIN SPEC auf die Praxis der einzelnen Regelwerke und die Übersetzungen auswirken wird. Die Empfehlungen stellen eine Zusammenschau der einzelnen Ausrichtungen dar und fassen zusammen, worauf sich alle Richtungen einigen konnten. Genau aus diesem Grund verbleibt sie aber auf Ebene der Empfehlungen. Der Vorteil ist, dass sie die bestehenden Regelwerke in sich aufnimmt und somit keine größeren Konflikte in der bestehenden Übersetzungspraxis auftreten werden.

Unser Büro hat bisher mit den Regeln der Deutschen Gesellschaft für Leichte Sprache e.G. (DGLS) gearbeitet und wird es weiter tun, bis die DIN SPEC endgültig erscheint. Mit Stand von heute finden sich diese Regeln in der DIN SPEC wider, so dass es voraussichtlich keine Änderung in unserer Übersetzungspraxis geben wird. Gleichzeitig hat die Deutsche Gesellschaft für Leichte Sprache im Mai ihre Auflösung bekannt gegeben, da sie ihre Ziele erreicht hat – das wichtigste Ziel war die Weiterentwicklung der Leichten Sprache, die mit der DIN SPEC auf einer übergeordneten Ebene ihren Platz gefunden hat. Das Regelwerk der DGLS verliert seine Gültigkeit nicht und wird voraussichtlich durch einzelne Lebenshilfe-Organisationen weiter betreut. Das bedeutet für uns, dass wir für unsere Übersetzungen beide Regelwerke berücksichtigen werden.

In unseren Zertifikatsfortbildungen zu Leichter Sprache verwenden wir natürlich auch das Regelwerk der DGLS und werden uns auch hier auf die Arbeit mit beiden Regelwerken vorbereiten. Erfahrungsgemäß ist der Einstieg in die Leichte Sprache zunächst leichter, wenn man sich an einem kompakten Regelwerk mit klaren Vorgaben orientieren kann. Daher halten wir das Regelwerk der DGLS für ein gutes Format für Anfänger*innen in der Leichten Sprache, welches sich sehr gut mit der DIN SPEC kombinieren lässt. Bereits seit Beginn des DIN SPEC Verfahrens weisen wir alle Teilnehmer*innen darauf hin, dass es diese Entwicklung gibt und natürlich wollen wir unseren Teilnehmer*innen stets den aktuellen Stand mitgeben.

Sie werden die Veränderung kaum bemerken: Unsere Übersetzungen wären auch heute schon mit den Empfehlungen vereinbar. Das gleiche gilt für unsere Zertifikats-Fortbildungen. Die endgültige Einschätzung ist natürlich erst möglich, wenn die DIN SPEC fertig ist. Ein Kursteilnehmer fragte schon besorgt: „Muss ich dann eine neue Fortbildung machen?“ Nein, das müssen Sie nicht – unsere Zertifikate behalten ihre Gültigkeit. Als Übersetzer*in müssen Sie sich natürlich immer am aktuellen Fachdiskurs orientieren – eine Fortbildung allein ist dafür kein Garant. Und trotzdem bekommen Sie bei uns jetzt schon das nötige Wissen, mit dem Sie ohne Probleme an die DIN SPEC anknüpfen können werden.